Heinz Erhardt – das Gesicht der Filmstadt Göttingen

Heinz Erhardt hat einen ganz besonderen Stellenwert. Er ist das Gesicht der Filmstadt Göttingen. Hier spielte er seine erste Hauptrolle. Hier verdreifachte er sich sogar. Insgesamt drehte er acht Filme in den Göttinger Ateliers. Meist waren es fröhliche Familienkomödien. Am bekanntesten ist „Natürlich die Autofahrer“ mit der legendären Eröffnungssequenz am Weender Tor. In diesem Film mutiert Verkehrspolizist Dobermann zum Verkehrsrowdy, was schließlich völlig aus der Spur läuft. Doch am Schluss, so will es das ungeschriebene Komödiengesetz der 1950er-Jahre, wird alles gut.

Erhardts erster Leinwandauftritt erfolgte 1949 in dem Kriminalfilm „Gesucht wird Majora“ als singender Barpianist. Filmhistorisch interessant ist diese Produktion, weil sie im Atelier der Euphono-Film in Düsseldorf-Benrath hergestellt wurde. Wie in Bendestorf, Göttingen, Hamburg und Wiesbaden war es eine Nachkriegsgründung, konnte sich aber als Produktionsstandort nicht durchsetzen und wurde nach kurzer Zeit wieder geschlossen. Seinen letzten Auftritt hatte Erhardt in der Komödie „Willi wird das Kind schon schaukeln“ (1972, Außenaufnahmen: Bad Pyrmont). Während der Synchronisation zu diesem Film erlitt Heinz Erhardt einen Schlaganfall, sodass er in mehreren Szenen von Klaus Havenstein gesprochen werden musste. Insgesamt drehte Erhardt 39 Kinofilme, acht davon in Göttingen. Über seine Zeit in den Göttinger Ateliers berichtet er auch in seinen Tagebuch-Eintragungen (nachzulesen im Buch „Heinz Erhardt und seine Filme“ von Rolf Thissen, Heyne Filmbibliothek).

Während einer Drehpause zum Film „Vater, Mutter und neun Kinder“ (1958) war Heinz Erhardt mit Ekkehard Koch, dessen Vater Rudolf Koch als ateliereigener Kameramann an der Produktion beteiligt war, auf dem Einbecker Marktplatz ein Eis essen, musste aber so viele Autogramme geben, dass er sein eigenes Eis nur noch trinken konnte. „Wie immer!“ kommentierte Erhardt schelmisch. Beim letzten Göttinger Erhardt-Film „Der letzte Fußgänger“ (1960) hatte das Team während der Dreharbeiten im Schwarzwald die Anfangssequenz vergessen. Daher fuhr Rudolf Koch mit Heinz Erhardt kurzerhand im VW-Bully des Ateliers zum Hainberg, wo beide die Sequenz nachdrehten. Tatsächlich wurde die Bahnhofsszene in Bingen am Rhein ebenfalls in Göttingen gedreht; im Hintergrund ist das frühere Gaswerk an der Godehardstraße zu erkennen. Die Hamburg-Aufnahmen zu diesem Film entstanden in Kassel (Treppenstraße). Den Vorspann gestaltete der Göttinger Trickfilmspezialist Hans-Heinrich Kahl.

Statistisches und Wissenswertes:

Von den acht Erhardt-Filmen aus Göttingen wurden sechs von der Deutschen Film Hansa Hamburg bzw. einer („Die gestohlene Hose“) von deren Vorgängerin Deutsche London Film Hamburg produziert. Den Film „II A in Berlin (Drei Bayern an der Spree)“ hatte – wie auch dessen ersten Teil „I A in Oberbayern“, der nicht in Göttingen gedreht wurde – die Firma Ariston-Film München-Geiselgasteig produziert. Die drei bekanntesten Filme „Witwer mit fünf Töchtern“, „Vater, Mutter und neun Kinder“ und „Natürlich die Autofahrer“ inszenierte Erich Engels. Neben seiner Arbeit mit Erhardt war Engels vor allem als Kriminalfilmregisseur („Dr. Crippen an Bord“, 1942, „Dr. Crippen lebt“, 1958) bekannt. Regie führte er auch bei „Grabenplatz 17“, der 1958 in den Göttinger Ateliers entstand. Dieser Film gilt als Vorläufer der deutschen Kriminalfilmwelle der 1960er-Jahre – insbesondere der Edgar-Wallace-Verfilmungen, wobei der zweite Wallace-Film „Der rote Kreis“ ursprünglich im Filmatelier Göttingen mit Außenaufnahmen in Hamburg gedreht werden sollte; letztlich wurde er wie zuvor „Der Frosch mit der Maske“ in Kopenhagen hergestellt. Für zwei Erhardt-Filme („Die gestohlene Hose“ und „Der müde Theodor“) zeichnete Komödienspezialist Géza von Cziffra verantwortlich. Zu dessen bekanntesten Werken zählen mehr als ein Dutzend Schlagerfilme mit Peter Alexander, darunter zwei Beiträge zur Graf-Bobby-Trilogie. Ebenfalls in Göttingen inszenierte von Cziffra noch den Krimi „Banditen der Autobahn“ (1955) und das Drama „Nachtschwester Ingeborg“ (1958). Er war es, der Heinz Erhardt erstmals in einer Hauptrolle besetzte – als „müder Theodor“ im gleichnamigen Film. Bei Erhardt-Filmen jeweils einmal Regie führten Hans Albin („II A in Berlin“), Hans Müller („Drillinge an Bord“) und Wilhelm Thiele („Der letzte Fußgänger“). Gesamtspielzeit aller in Göttingen gedrehten Heinz-Erhardt-Filme ist 719 Minuten (= knapp zwölf Stunden). Kürzester Film ist „Drillinge an Bord“ (82 Minuten bei 24 b/sec), längster Film ist „Witwer mit fünf Töchtern“ (96 Minuten bei 24 b/sec). Vier Filme sind von der FSK-Prüfungskommission ab zwölf Jahren freigegeben worden („Die gestohlene Hose“, „Der müde Theodor“, „Witwer mit fünf Töchtern“ und „Vater, Mutter und neun Kinder“), drei ab sechs Jahren („Natürlich die Autofahrer“, „Drillinge an Bord“ und „Der letzte Fußgänger“) sowie einer ab 16 Jahren („II A in Berlin“).

Heinz Erhardt singt in folgenden Filmen:

  • „Der müde Theodor“: „Bei diesem Lied“
  • „Witwer mit fünf Töchtern“: „Die Music-Box“ und „Pappis Wiegenlied“
  • „Vater, Mutter und neun Kinder“: „Wir leben, wir lieben, wir lachen“ (Duett mit Maria Sebaldt) und „Zur Liebe ist es nie zu spät“
  • „Drillinge an Bord“: „Auch ich war ein Jüngling mit lockigem Haar“ (mit Trude Herr am Piano) und „Linkes Auge blau“
  • „Der letzte Fußgänger“: „Nicht so eilig“

Den Titelsong aus „Natürlich die Autofahrer“ („Seid doch nett zueinander“) singen Friedel Hensch und die Cyprys. Der Titel „Cowboy Mambo“ wird gesungen vom Schlagerduo Geschwister Duval. Frank Duval schrieb in den 1970er- und 1980er-Jahren Filmmusiken zu TV-Serien wie „Derrick“ und „Der Alte“.

© 2019 Sven Schreivogel

Portrait-Heinz-Erhardt
Foto: Walter-Boje

Erhardtsche Kultkomödie „Natürlich die Autofahrer“ (1959), das Symbol für die Filmstadt Göttingen.
Bildnachweis: Stadtarchiv Göttingen/Repro: Thomas Klawunn